Als ich etwas mehr als ein halbes Jahr in Istanbul gewohnt habe, ist mir die Stadt ans Herz gewachsen. Nicht so sehr, dass ich dort für immer leben könnte. Jedoch schon so sehr, dass ich ein Gefühl des Vermissens wahrgenommen habe, bevor ich wieder hingereist bin. Eine richtige Vorfreude hat sich in mir breit gemacht. Und ich wusste nicht mal so recht, worauf ich mich so gefreut habe. Wenn ich gefragt wurde, war meine Antwort lediglich: einfach da zu sein! Dass ich in Istanbul gelebt habe, ist noch kein Jahr her, demnach wusste ich auch noch, wie es ist, einfach da zu sein.
Eine große Rolle des „Einfach-Da-Seins“ spielt sicherlich die angemietete Wohnung meiner Schwiegereltern direkt am Bosporus. Morgens aufzustehen, mit frischem, handaufgebrühten Filterkaffee in der Hand auf den Balkon zu steigen und die Sonne hinter dem Hügel gegenüber aufgehen zu sehen, macht schon irgendwie gute Laune. Um diese Zeit schläft der Großteil der Stadt noch, denn es ist verhältnismäßig ruhig draußen. Dann ertönt der Ruf des Muezzin, was etwas total Erhabenes für mich hat. Ich bin überhaupt nicht religiös, aber besonders morgens, wenn man von anderen Minaretten das Echo wahrnehmen kann, komme ich mir jedes Mal vor wie im Film und bewege mich gedanklich wie eine Drohne über die Stadt. Das entspannt mich! Dann zieht hier und da ein Fischerboot oder eine Fähre vorbei, und das Bild ist perfekt.
Naja, diesmal habe ich aber irgendwie alles anders empfunden.
Der erste Dämpfer war schon mal, dass ich die geplante Woche in Istanbul auch arbeiten musste, sprich: wenig freie Zeit hatte. „Das wird trotzdem gut“ und „Ich mache früh Feierabend, damit wir jeden Nachmittag auskosten können“ habe ich meiner Frau und mir vorgegaukelt, als wir die 4-wöchige Türkei-Reise geplant haben. Pustekuchen! Nach der Arbeit hatte ich nicht mehr viel Lust. Das Wetter war total norddeutsch (nieselig und grau, Kuschelwetter also), und meine Frau war meistens schon den Tag über mit meinem Schwager unterwegs. Also blieben wir in der Wohnung, die mein Schwiegervater allerdings zum Büro umfunktioniert hat. Gemütlichkeit war für das Büro nicht vorgesehen.
Zumindest das geile türkische Essen wollte ich doch aber genießen. Bei meinem Lieblingsdürümcü (das „c“ ausgesprochen wie das „dsch“ in „Dschungel“) habe ich mir das Übliche geholt: Adana-Dürüm & Ayran. Unglaublich lecker, genau das gehört zum Einfach-Da-Sein, hab ich gedacht. Am Tag darauf habe ich dann eine unfreiwillige Entgiftung meines Körpers erlebt, wie ich es noch nie erlebt hatte. War auch ein ziemlicher Dämpfer, würde ich jetzt sagen.
Aber das alles war einfach meine persönliche Selbstüberschätzung und im Fall der Entgiftung und des Wetters auch noch etwas Pech. Das passiert. Das wird mich nicht daran hindern, wieder in diese Stadt zu fahren, die beim bloßen Spazieren-Gehen mit ihren Gegensätzen so faszinierend sein kann.
Ein Gegensatz ist mir dieses Mal besonders aufgefallen – womöglich, weil mich das Thema Autos aktuell im privaten Bereich etwas beschäftigt. Das Land hat nach offiziellen Angaben eine Inflationsrate von 72 %. Unabhängige Wirtschaftsinstitute gehen sogar von bis zu 122 % aus. Und das merkt man: beim Einkaufen, beim Shoppen, beim Ausgehen. Für mich als Euroverdiener ist das noch okay – ist wie zu Hause in Deutschland. Aber in Istanbul ist das durchschnittliche Gehalt bei umgerechnet ca. 1.500 Euro. Aber trotzdem sind die Restaurants & Cafés immer voll. Und trotzdem, um auf den einen Gegensatz zurückzukommen: Man sieht hier nur die neuesten Autos auf den Straßen. Autos, die hier in der Türkei sehr viel teurer sind als bei uns in Deutschland, weil das Land hohe Zölle/Steuern nimmt. Wie machen die das, frage ich mich? Ich mein, ich frage mich das in Deutschland auch, aber hier frage ich mich das besonders.
Faszinierend eben!
Ich könnte weiter und weiter über die Stadt schreiben. Positiv wie auch negativ. Es ist ein wahres Auf und Ab der Gefühle durch die so heftig unterschiedlichen Eindrücke, die man hier von den Menschen, der Infrastruktur, der Architektur und der Kultur bekommen kann. Und jeder dieser Eindrücke hätte wahrscheinlich diverse Substack-Artikel verdient, weil einem so viel dabei durch den Kopf geht. Also mir zumindest. Ich belasse es aber hierbei, weil mich das alles diese Woche so beschäftigt hat.
Ich kann jedem ans Herz legen, diese Stadt einmal zu besuchen. Wart ihr schon mal da? Wenn ja, wie war es für euch? Wollt ihr demnächst mal hin?
Let me know...
Passend zum Thema habe ich noch eine Liedempfehlung:
Interpret: RJD2
Song: 1976 vom Album "Since We Last Spoke"