Die Landung in Istanbul war okay. Ich habe schon weichere, aber auch schon gröbere mitgemacht. Ich hoffe in dem Moment dann immer, dass es sicher sehr windig sein muss draußen. Da kann der Pilot ja nichts für.
Sobald man am internationalen Flughafen in Istanbul den Boden berührt, ist zwar der Flug vorbei, aber die Reise im Flugzeug noch lange nicht. Ich bin schon ein paar Mal dort gewesen und weiß mittlerweile, dass man noch mindestens 15–20 Minuten entspannt sitzen bleiben kann. Und scheinbar ist dieses "Sitzen-Bleiben-Können" eine wahre Kunst. Nach circa zehn Minuten kommt das Flugzeug zum Stehen und der ältere Herr, der neben mir den Platz am Gang belegt, Reihe 18 Sitz D, steht ohne zu zögern auf und reißt das Gepäckfach auf, um seine Tasche zu nehmen. Ich sitze in der Mitte und schaue an meiner Frau vorbei aus dem Fenster. Weit und breit noch kein Gate in Sicht, die Motorengeräusche noch voll aufgedreht.
Natürlich machen es ihm weitere nach. Unvorstellbar, dass jemand schon vor ihnen bereit zum Ausstieg ist.
Schon mal aufgefallen, dass zu 95 % Männer als Erste im Flugzeug aufstehen? Die restlichen 5 % sind meistens ältere Damen. Die Zahlen sind natürlich nur aus meinem Empfinden heraus.
Nachdem 3–4 Männer schon ihr Handgepäck in der Hand hielten, kamen die Flugbegleiterinnen und baten alle, sich wieder zu setzen, denn das Flugzeug war noch lange nicht in Parkposition. Den Blicken und Reaktionen nach muss es einzig ihre Schuld sein, dass wir noch nicht aussteigen können. Der Mann neben mir – nennen wir ihn spaßeshalber "Flash Senior" – hat es sich in der Zwischenzeit in der Business Class bequem gemacht und war außer Sicht. Ich spüre Kalkül!
Als das Flugzeug seine Parkposition erreicht, geht die Action erst richtig los. Diesmal stehe auch ich auf, um mich nach dreieinhalb Stunden Sitzen als 185 cm großer Mann etwas zu strecken. Ich mache bewusst das Gepäckfach noch nicht auf, um niemanden in deren Hektik zu verletzen. Plötzlich drängelt sich eine Frau – Mitte 20, vermute ich – zwischen einem Herren aus der Reihe 19 hinter mir und mich. Kuschelig!
Der Mann öffnet das Gepäckfach und legt sich seinen Koffer so zurecht, dass er ihn herunterheben kann, sobald Platz da ist. Es ruckelt etwas, und aus der Frau, die sich zwischen uns gekuschelt hat, ertönt ein "oh mein Gott". Ihr wisst schon, so ein "oh mein Goooott" in dieser bestimmten Tonlage. Das macht mich zwar leicht aggressiv, aber das Lächeln meiner Frau, die die Situation ebenfalls beobachtet hat, lässt mich die Situation auch einfach belächeln.
Bei der Passkontrolle angekommen, geht das Abenteuer weiter. Ich erlaube mir, mich als Ehemann einer Türkin mit ihr zusammen im Bereich für türkischstämmige Mitmenschen anzustellen. Die Warteschlange ist länger als sonst. Nach circa zehn Minuten Stop & Go schreit einer der Beamten von der Seite, dass Türken sich zu dem gerade geöffneten Schalter begeben dürfen. Ein kleiner Teil der Reisenden hat sich dorthin bewegt – natürlich nicht nur Türken. Ich selbst frage mich zunächst, warum ich mich jahrelang nicht getraut habe, alleine in dem Bereich zu warten (normalerweise sind hier wenige Leute, und es geht super schnell – bestätigt auch meine Frau) und ärgere mich darüber. Scheinbar stehen auch hier überwiegend Ausländer, so wie ich es einer bin.
Der Beamte hat ein Paar, das ihm nicht türkisch genug aussah, direkt wieder zurückgeschickt. Und was machen die? Na klar, die stellen sich ja nicht wieder an dem Platz der Warteschlange an, wo sie vorher standen. Das wäre ja nicht fair – können die ja nicht wissen, dass "only for Turkish people" vom Beamten ernst gemeint war.
Also stellen sie sich einfach nach vorne neben die Leute, die als Nächstes dran sind.
Wie dreist kann man sein? Wo ist der Respekt vor den Mitmenschen, die sich doch in der gleichen Situation befinden?
So ganz trauen sie sich aber nicht, sich direkt vorzudrängeln, und so komme ich doch noch vor ihnen an den Schalter. Der Reisende hinter mir ist da aber etwas weniger gelassen und möchte auf keinen Fall, dass jemand noch vor ihm den Stempel in den Reisepass bekommt.
Also hat er kurzerhand entschieden, dass die Privatsphäre meiner Frau und mir ungefähr da aufhört, wo seine Nase anfängt. Sowas macht mich ja schon im Supermarkt wahnsinnig. Mein mahnender Blick hat nichts bewirkt. Als meine Frau dann einen Schritt zurück machen musste, um besser von der Kamera erfasst zu werden, bat ich ihn dann mit einem "could you please back up, man" Platz zu machen.
Was stimmt denn mit den Leuten nicht? Wo ist der Respekt? Bin ich der Einzige, der sich über sowas aufregt und sich total zusammenreißen muss, nicht auszuflippen?
In solchen Momenten fällt es mir extrem schwer, höflich zu den Leuten zu sein, die sich so respektlos benehmen.
Selbst wenn man es total eilig hat, muss man doch den Respekt wahren.
Oder sehe ich das falsch?
Naja, ich gehe jetzt am Bosporus ein paar Kilometer laufen.
Grüße aus Istanbul!
Hatte mir mal überlegt, auf jedem Flug ein T-Shirt zu tragen: Wer früher steht, ist länger doof. Hab mich aber nicht getraut. Wegen der doofen Übermacht